Fenster 3.0

Das Programm FENSTER 3.0 ist weit verbreitet. Und jeder, der dieses FENSTER hat, findet frueher oder spaeter grosszuegige Schmutzflecke, wenn er hindurchschauen will:
Ihnen gefaellt vielleicht die langsame Geschwindigkeit nicht, den Kollegen stoert die Absturzgefahr,ERDWORKS mag keine Konkurrenz, mich stoert die umstaendliche Mausklickerei fuer einfachste Funktionen... und so weiter, und so fort.
Warum ist das eigentlich so? Wie schafft es die Benutzeroberflaeche fuers Volk, fuer jeden ein persoenliches Aergernis parat zu halten? Ich durfte einer FENSTER-Entwicklungpsychologin bei der Arbeit ueber die Schulter sehen...

An einem Montagnachmittag im Jahre 1991 sass die Diplom-Psychologin Dr. K. in einem schalldichten Kontroll-Labor. Vor ihr ein grosses Mischpult mit unzaehligen Reglern, Anzeigen und Knoepfen. Ringsum Kabelspaghetti, Netzwerk-Leitungen, seltsame Speicherverbindungen und rund ein Dutzend Monitore. Ohne den Terminalpark zu beachten, sah die Forscherin durch einen Durchblick in der Wand hinueber in ein anderes Zimmer. Aus einem schwarz-metallischen Stahlgehaeuse in der Mitte des anliegenden Raumes droehnte ein eintoeniges Geraeusch, das merklich heruntergedimmt und dank eines HiFi-Lautsprechers digital makellos in die Kabine der Psychologin uebertragen wurde. Es handelte sich um einen getunten 80486er PC. Ein zusaetzlicher Monitor im Kontroll-Labor gab exakt das Bild des Monitors wieder, der drueben seinen Dienst erfuellte. Ploetzlich ging die Tuer des benachbarten, kahlen Zimmers auf. Ein Mensch trat herein.
Our user...., fluesterte die Psychologin.

Schnurstracks ging das Individuum auf den Computerarbeitsplatz in der Mitte des Raumes zu. Es liess sich auf einem Datenhocker nieder. Dann verspreizte der Mann die Finger ineinander, drueckte nach unten und Gelenke und Tastatur begannen zu knacken...

Ich unterhielt mich unterdessen mit der Psychologin der MICRO-SYSTEMS-SOFT-CORPORATION.
Fragen Sie nur, tell, me what you want., forderte mich die Marketing-Psychologin in anglo-deutschem Kauderwelsch freundlich auf. Der Proband, you know, kann uns weder sehen noch hoeren. The window, durch das wir sehen, ist auf seiner Seite ein harmloser, undurchsichtiger Spiegel...
Das Window - ein Spiegel?.
Yes, a mirror..
Er kann uns weder sehen, noch hoeren?.
That's, what I say..
Ich blickte zum User herueber. Er schien tatsaechlich nicht zu bemerken,dass wir ihn beobachteten. Sensoren an seinen Koerper leiteten Messwerte an diverse Aufzeichnungsgeraete. Zwoelf Stifte kratzten monoton ueber Endlospapier, zeichneten die Signale von Elektroden in Kurven um, durch die Hirnstroeme, Augen-, Mund- und Beinbewegungen, Herzschlag und Atemfrequenz registriert wurden. Waehrend einer Sitzung entsteht so ein Mess-Protokoll - ein sogenanntes User-Psychogramm - von fast 500 Meter Papier. Nur in Unterhose bekleidet, wurde der Freiwillige waehrend seiner Arbeitssitzung
auch mit einer Infrarot-Kamera aufgenommen. Das sensible Geraet verzeichnete etwa bei Erregungen feinste, fuer das Auge unsichtbare Temperaturunterschiede auf der Haut...
Aber wozu dieser riesige Aufwand? Fragte ich mich und die grauhaarige,weissbekittelte Wissenschaftlerin. Was testen Sie hier eigentlich?
Sehen Sie das nicht? gab die Psychologin zurueck. Ich verneinte.
Hmm., die Forscherin ueberlegte kurz, dann interpretierte sie den alten Heraklit: Take it easy, irgendwann steigt jeder ein erstes Mal in denselben Datenfluss und doch nicht in denselben; wir sind es, und wir sind es nicht.
Wie soll ich das verstehen?
Nichts, nothing... schon gut. Also, wenn Sie durch das WINDOWS... fuck, I mean... durch das schmale FENSTER blicken, sehen Sie.....
Ach, daher der Name von ..?
Yes, daher: UR-DURCHBLICK oder FENSTER 0.0, die Voraussetzung fuer die weltberuehmte Benutzeroberflaeche FENSTER 3.0 - ganz wie sie wollen. Also
dort sehen Sie einen Durchschnitts- Anwender bei seiner taeglichen Computerarbeit. Dieser und alle User, die zu uns kommen, nahmen irgendwann ueber die MICRO-SYSTEMS-SOFT-HOTLINE freiwillig Kontakt mit uns auf.
Freiwillig?.
Nun ja, mehr oder weniger. Zumeist haben sie zum Zeitpunkt der
Kontaktaufnahme irgendein Problem mit einem unserer Software-Pakete. Egal welches Professional Development System - das Problem kann so schwerwiegend
sein, dass der User vor dem psychischen Zusammenbruch steht. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was fuer Nervenbuendel, Hysteriker, Hypochonder und seelische Wracks zu mir geschickt werden.
Ein sarkastischer Zug huschte ueber die Lippen der Psychologin. Aber kaum
nahm ich ihn wahr, war er wieder verschwunden. Ich hatte mich wohl getaeuscht.
Neulich hatten wir einen, der wollte unsere Firma in die Luft sprengen, nur weil wir FENSTER 3.0 an seine kleine Klitsche ohne passenden PostScript-Treiber ausgeliefert hatten. Als ob es uns etwas anginge, wenn die Lino...
die Lino?
es, die Linotronic. Sie schoss eine 200 DIN-A5-Seiten umfassende Arbeit auf meterweisen leeren Film aus, wiewohl der Laserdrucker vorher
einen ordentlichen Abzug ausdruckte.. Sie schuettelte fassungslos den Kopf:, but, is this ein Grund, Software-Terrorist zu werden?
Was haben Sie der <kleinen Klitsche> - wie Sie es ausdrueckten - geantwortet?
Nach endlosen Telefonaten raeumten wir ein, dass uns der Fehler bekannt sei und verwiesen den Kunden an den producer des laser printer. Soll dieser sehen, wie er mit der Bit-Schrulle - ich meine natuerlich mit der Herstellung exotischer driver - fertig wird. Aber lassen wir das...

Die Psychologiedoktorin erzaehlte im weiteren Verlauf, dass die Hotline-Patienten. - sie sagte tatsaechlich Patienten. - 500 Fragen beantworten muessten.
Nur wer diese Fragen zu unserer Zufriedenheit beantwortet, darf an unseren Versuchen teilnehmen. Wir versprechen ihm, seine Computerprobleme zu loesen. Mit einer Bedingung: Er oder sie muessen bei der scheinbaren Weiterentwicklung unseres Professional Development Systems (PDS) behilflich sein. Die Probanden bekommen sodann kostenlos einen High-End-Arbeitsplatz im Software-Center zur Verfuegung gestellt. Dieser entspricht exakt dem PC-Arbeitsplatz zu Hause - mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Die uns genannten Probleme sind geloest. Dafuer treten neue auf...
Ich verstehe nicht recht: MICRO-SYSTEMS-SOFT hilft unentgeltlich seinenKunden, wenn sie nicht mehr weiterwissen?
Aber sicher. Was haben Sie gedacht?.
Und gleichzeitig werden neue Probleme installiert?
Gewissermassen, mein Lieber. Die analytische Erfahrung lehrt uns, dass bloss funktionstuechtige Software von den sogenannten Fensterotikern ebensowenig vertragen wird wie bloss fehlerhafte. Seit Freud wissen wir: ausser dem Eros einen Todestrieb; nur aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken dieser beiden laesst sich Ergonomie verwirklichen. Wir schaffen in ihren Symptomen neben immer neuen Leidensquellen immer neue Befriedigungen.

Hmmm. - Dazu der ganze Aufwand? Ich weiss nicht. Ich glaube, Sie sind meiner Ausgangsfrage ausgewichen... Inzwischen kratzten die zwoelf Stifte in wilden Bewegungen ueber das Endlospapier.

Sehen Sie nur., quieckte Dr. K. erfreut, our user beginnt sich aufzuregen!

Wie eine kleine, niedliche Lolita, die mit diabolisch-unschuldigem Forschergeist einer Kroete ein Bein ausreisst, starrte die Psychologin auf die Kurven. Ich blickte unterdessen durch den kleinen Durchblick in den benachbarten Raum. Der User - ich sollte besser sagen: der Disk-Jockey - war gerade dabei, FENSTER 3.0 zu installieren. Auf seiner Stirn perlte der Schweiss:... 3, 4, 5... beim achten Wechsel der fuenf Disketten hoerte ich auf mitzuzaehlen.

Ich werde ihm four Wechsel extra geben,. vernahm ich meine Interviewpartnerin. Libido und Psyche sind robust. Er wird es verkraften.. Sie drehte an zwei Knoepfen. Fassungslos beobachte ich, wie der Mann in gebluemter Fritz-Walter-Unterhose weitere vier Diskettenwechsel vornehmen musste:

... ababab, aber, aber.... ich geriet ins Stottern.

Ist Ihnen nicht good? Sie sehen so bleich aus.

Doch, doch...

Schoen.

... aeh, was ist das: Sie koennen die Anzahl der Diskettenwechsel waehrend der Installation manipulieren?

Ja, eine unserer leichtesten Uebungen in Sachen after-sales service. Haben Sie geglaubt, wir wuerden die Anzahl der Diskettenwechsel nicht genauestens kalkulieren?

Aber die Rezensenten, die Kritiker...

Ha, ha, die gehen uns immer wieder auf den Leim. Wir streuen ein bisschen Sand, damit die Blinden ein Korn finden - heisst ein Sprichwort im Deutschen nicht so? So entgeht den Pressefritzen bei jeder neuen Version das Wesentliche.

Das Wesentliche?

Yes, Sie fragten mich doch, wozu wir diesen Aufwand treiben. Ich verrate es Ihnen. Sehen Sie, der PC-Arbeitsplatz gegenueber ist so klein, dass er, fuer sich genommen, praktisch nichts ist. Er kommt im Prinzip gar nicht zur Verwendung. Vielmehr stehen mit Hilfe eines unendlichdimensionalen hyberkubistischen Feldes alle Hard- und Software-Leistungen, alle Daten und Programme, die dort angefordert werden, unter der Kontrolle des Mischpultes, das gerade Ihren Ellbogen stuetzt...

Verlegen zog ich meinen Arm zurueck. Die Psychologin laechelte, als haette Sie meine Reaktion erwartet. Ich stellte eine weitere Frage:
Wenn ich Sie recht verstanden habe, handelt es sich bei jenem Arbeitsplatz um eine, wie soll ich sagen, um eine Art i486-Simulation?

Ganz recht..

Eine Simulation? Wozu, verdammt noch mal, wie...?

Bevor ich mich auf die Erklaerung konzentrierte, warf ich wieder einen Blick zum User hinueber. Dieser versuchte, seine alten FENSTER-Applikationen unter 3.0 laufen zu lassen. Tja, mein Junge, da wirst Du Pech haben, dachte ich. Seine Situation war mir allzu vertraut. Irgendwie leidete ich mit ihm.

... Ohh, shit!. fluchte meine Gespraechspartnerin, deren Blick meinem gefolgt war: He... er hat sich viel zu schnell durch die INI-Dateien durchgekaempft. Aber warten Sie: Jetzt lasse ich FENSTER 3.0 erst einmal abstuerzen...

Die Psycho-Lady zog einen roten Regler nach oben. Bestuerzt verfolgte ich,wie drueben FENSTER 3.0 sang- und klanglos den Geist aufgab. Der User runzelte die Stirn. Dann zuendetete er sich nervoes eine Zigarette an. Ich folgte seinem Beispiel, registrierte von ungefaehr, dass auch meine Haende zitterten.

Where... wo war ich stehengeblieben? - Wozu? - Ach ja, ganz einfach: I think, you... Du, Sie, schauen Sie, Sie sind ein aufgeklaerter junger Mann. Ist Ihnen nicht mehrmals der Gedanke gekommen, dass eine perfekte Benutzeroberflaeche und accurate programs ueber kurz oder lang der wirtschaftliche Ruin der gesamten Software-Branche waeren?

Hm, eigentlich, nein. Ich denke, fehlerlose Programme kann man wohl nicht programmieren. Die Frage stellt sich also gar nicht.

Sie irren. Man kann sie programmieren. Und wir haben sie entwickelt...

Es entstand eine kleine Gespraechspause. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

... I know, es klingt unglaublich, aber seit ueber zwei Jahren koennten ein intelligentes, anpassungsfaehiges PC-Betriebssystem und fehlerfreie Anwenderprogramme auf dem Markt erschienen sein - <koennten> wohlgemerkt. Ueber zweitausend Maenner und Frauen haben ein Jahrzehnt daran gearbeitet. Das gesamte Ensemble der kooperierenden Komponenten von MICRO-SYSTEMS-SOFT hatte nur ein Ziel: Das fehlerfreie, benutzerfreundliche, the Personal Operating System, POS1.0.

Hoert sich gut an.

Yes, and POS is it. MICRO-SYSTEMS-SOFT meldete sofort Patent an, sicherte sich alle Rechte und - und seit damals liegt POS in den Safes der Gesellschafter sicher verschlossen...

W..., was?!. ich stotterte schon wieder.

Sie haben richtig gehoert. Unsere Arbeitgeber liessen POS nur entwickeln, damit es niemals auf den Markt kommt. Nur wenn wir hier experimentieren,
wird es aus der Schublade geholt. Zu keiner Zeit sollten und werden User die Vorteile von POS nuetzen koennen. Statt POS unterstuetzt MICRO-SYSTEMS-SOFT ein Doofes Operating System (kurz: DOS) und verbesserten FENSTER 1.0. Den Rest der Geschichte kennen Sie...

Ich verbrannte mir einen Finger an der abgebrannten Zigarette. Drueben versuchte der User eine 10-Pixel-hohe FENSTER-Warnmeldung auf seinem 20 Zoll breiten Monitor zu entziffern. Mit seinen 640x480 Pixeln wirkte das in die linke obere Bildschirmhaelfte geknaeulte FENSTER 3.0 auf dem Ganzseitenmonitor reichlich verloren.

Verstehen Sie jetzt die Zusammenhaenge?.

Ich hatte die Psychologin vergessen.

Nein, nicht vollstaendig., gab ich zu.

Schaetzchen, das ist doch nicht so schwer: Wir schmeissen diverse fehlerbehaftete Oberflaechlichkeiten auf den market. Dabei muessen wir mit den Fehlern und Bugs seit POS aeusserst sparsam umgehen. POS lehrt uns, dass es nur eine begrenzte Unzufriedenheit beim Endkunden gibt. Sind alle Fehler in den Programmen beseitigt, denkt niemand mehr daran, noch ein Update zu kaufen. Think fuzzy! Wir klopfen deshalb die aktuelle Fehler-Akzeptanz ab. Hierzu werden die Psychogramme, die wir den Hotline-Patienten verdanken, statistisch ausgewertet. Mit anderen Worten: Alle User-Psychogramme zusammen ergeben Software-Profile zu einem bestimmten Zeitgeist <Z>. Sind diese ermittelt, packen wir alle brauchbaren Bugs zusammen, stellen die Software her - und beliefern die Haendler. Diese bekommen Software mit Fehlern, die genau auf die jeweiligen Endkunden zugeschnitten sind. Natuerlich gibt es anfangs immer viel Lob und gute
Presse, weil alte Programmschwaechen beseitigt sind; beim praktischen Einsatz folgt die Ernuechterung, Aerger breitet sich aus, Wuensche werden
geaeussert - und wir entwickeln die Nachfolge-Profile XY, die andere Behinderungen als ihre Vorgaenger haben und so ad infinitum. The Joke is:
Nachfrage und permanente Versions-Fluktuation sind langfristig gesichert, weil unsere Endkunden immer in der Schwebe (<garantiert in der naechsten
Version beseitigt...>) gehalten werden und nie hundertprozentig zufrieden sind. Das geht so schnell, dass heute selbst Profis eine 3.0-Version., an
dieser Stelle schmunzelte der Psycho-Vampir, /gar nicht nutzen koennen,weil das Nachfolgemodell - eine inoperative 3.0x-Version (for example:3.01, 3.02...) - unter der Hand bereits ausgeliefert wird.

Ich verstehe nur noch Business., versuchte ich, den Redefluss der Psychologin zu unterbrechen.

Nehmen Sie die aktuelle 3.0-Version von FENSTER: Was glauben Sie: wie viele Modelle von FENSTER gibt es?

Aeh, ich weiss nicht - ich denke: eins. Nein, warten Sie: zwei, die Beta- und die Alpha-Version...

Ha, ha, one, no two, ha, ha....

Offensichtlich hatte ich etwas Lustiges gesagt. Ich fuehlte mich wie ein Schueler, der von einem omnipotenten Meister eine Lektion erhaelt, die es
in sich hat:

Mein Lieber, selbst in Fachkreisen munkelt man von mindestens drei Modellen. In Wahrheit gibt es Hunderte, maybe Tausende. Praktisch arbeitet
nur jeder zehnte User mit demselben Programm wie sein Nachbar, obwohl alle diese Modelle FENSTER 3.0 heissen.

Was?

Nur so haben wir die Garantie, dass unser Spielchen nicht auffaellt.

Spielchen? Na, ich weiss nicht...

Was glauben Sie, warum wir es mit den Lizenvertraegen halten?

Aeh, Kopierschutz...rechtliche Gruende?

So ein Unsinn. Es gibt keinen Kopierschutz. Die Lizenzvertraege geben als Daten-Grundlage Aufschluss, wann welcher Kunde mit welcher fehlerhaften
Software bedient wurde. Verstehen Sie das System nicht? Jeder Kunde braucht seine individuell-sukzessiven Aergernisse. In keinem Fall darf er mit
irgendwelchen willkuerlichen Bugs konfrontiert werden, sonst kauft er sein naechstes Programm bei der Konkurrenz.

Koennen Sie mir das an FENSTER 3.0 praktisch verdeutlichen?.

Nichts leichter als das. Angenommen ein Grafiker kauft FENSTER 3.0. Grafiker schaetzen zuverlaessige Fehler, die obendrein das <gewisse> Etwas
haben. Fuer ein glueckliches und ausgeglichenes Dasein spielen ganz bestimmte Farben fuer Kreative eine dominierende Rolle. Wir praeparieren FENSTER also so, dass beim Kopieren einer Bitmap in der Zwischenablage genau eine Farbe in der Palette vertauscht wird. Oder ein Programmierer entscheidet sich nach langem Zoegern fuer die marktfuehrende Software. Programmierer bevorzugen Fehler, die nicht ganz einfach sind, an die schwierig heranzukommen ist. Sie neigen zur pythagoraeischen Zahlenmystik und haben ein Faible fuer gnostisches Denken. Also etwas Kniffliges, etwas zum Patchen und Debuggen: Beispielsweise koennte der FENSTER-Taschenrechner die hexadezimale Acht mit der dualen Zwei in bunter Abwechslung vertauschen, seltsamerweise aber immer nur, wenn gleichzeitig der
Dateimanager geoeffnet ist. Erscheint die oktale Glueckszahl Sieben, wird ausserdem die Festplatte formatiert und optional koennten die Woerter <Ant!mimon Pneuma> (d. i. der ebenbildliche Geist, die Bezeichnung des Seelendaemons) kurz auf dem Schirm auftauchen. Ersteht hingegen ein Autor oder Schriftsteller FENSTER 3.0, brauchen wir einen eigenbroetlerischen Fehler. Vielleicht etwas, was den Schreibonkel beim Streben nach einem fernen Ziel fanatisch und fiebrig werden laesst, also: Wir statten das FENSTER-Spiel Solitaer mit Spiellevel aus, die schlechterdings von keinem Menschen geloest werden koennen - schon gar nicht von Rezensenten... Ich denke, die Beispiele zeigen ausreichend, dass der Kunde dank der User-Psychogramme bekommt, was er verdient...

Nachdem ich mich gesammelt hatte, kam mir das Vertrauen der Psychologin merkwuerdig vor:

Warum erzaehlen Sie mir das eigentlich alles?

Why not? Ich habe es schon vielen Reportern erzaehlt. Nobody wagte es, die Wahrheit zu veroeffentlichten.

Und wenn es einer wagt?

Oh, kein Mensch wuerde dieser Schreibe glauben. Dass wir von oben nach unten, von der fehlerlosen zur fehlerhaften FENSTER-Version, von POS zu DOS
entwickeln - und nicht von unten nach oben, von schlechter zu guter Software, findet selbst in analytischen Kreisen Widerstand; ich erinnere mich der eigenen Abwehr, als mir mein Chef die Idee von POS unterbreitete. Dass draussen kein User an ein persoenliches Betriebssystem mit persoenlicher Anwendersoftware glauben will, darf Sie nicht verwundern. Unsere Organisation wirtschaftet zu perfekt. Die Masse hat sich daran gewoehnt, mit zweitrangigen, fehlerbehafteten und kaum funktionstuechtigen, kurzum: mit menschlichen Programmen zu arbeiten...

In diesem Moment erschien die Holographie von Bill Geiz im Kontrollraum; dazu ertoente echohaft eine kratzige Maennerstimme aus einer unsichtbaren Tonquelle. Die Psychologin wandte sich von mir ab und murmelte ein paar ergebene /Yes., /Yes. und /Ok.. Dann warf einen kurzen Blick zum User hinueber, der gerade mit seinem naechsten Startversuch von FENSTER beschaeftigt war.

Well, ich gebe ihm rasch ein, zwei <Nicht behebbarer Fehler im Anwenderprogramm>., erwaehnte sie fast beilaeufig, drueckte ein paar Tasten und meinte /I'm zurueck in one Sekunde. Damit verschwand sie.

 Ich blickte mich wieder etwas um. Der User kratzte sich nach dem ersten <Nicht behebbaren Fehler> nervoes am Oberleib; schillernde Schweissperlen
rollten ueber die leicht behaarte Brust. Mein Blick studierte diverse Ordner und Diskettenkisten, wanderte weiter zum metallglatten Schreibtisch, dessen Schublade etwas offen stand. Ein paar Disketten lagen darin. - Ein paar Disketten lagen darin? - Mich packte eine merkwuerdige Ahnung. Ich stand auf, schlenderte scheinbar gelangweilt zum Schreibtisch, zog die Schublade etwas weiter auf. Ah. Tatsaechlich. Vor mir lagen zwei Disketten mit der etwas verblassten Aufschrift <POS 1.0>. Heiss schoss es mir den Ruecken hoch. Ich warf einen Blick zur Tuer, durch die die Psychologin hinausgegangen war: Nichts ruehrte sich. Blitzschnell griff ich zu. Ich
atmete tief durch, setzte mich wieder hin und warf einen weiteren Blick auf den User nebenan. Er hatte nach dem zweiten <Nicht behebbaren Fehler im Anwenderprogramm> die Maus so traktiert, dass der linke Mausknopf am zartgrauen Gehaeuse herunterhing. Es schien, als sei es das gewesen - fuer diesen Tag. Der User war fertig.

Das war vor zwei Wochen. Schon auf dem Schiff hatte ich mich mit den beiden Disketten beschaeftigt, die ich aus dem Kontroll-Labor entwendet hatte. Das
Wetter war im allgemeinen ruhig, ich sonnte mich am Deck. Um Haaresbreite haette ich einen Sonnenstich bekommen, als ich, den Laptop auf den Knien
liegend, im Liegestuhl einnickte. POS 1.0 erledigte fuer mich die Arbeit, still, schnell, im Hintergrund, fehlerfrei. MICRO-SYSTEMS-SOFT hatte inzwischen sicher laengst den Verlust der Disketten bemerkt. Schaetze, ich werde mich in der alten Heimat lange nicht mehr sehen lassen koennen. Als das Schiff am Kai meiner Pazifikinsel anlegte, schaue ich ins Grenzenlose: Vorbei ist der boese Traum von FENSTER 3.0 - Ohe-e-e-e-e-e! Heio!
Eh-lah-lah-laHO-O-O- -lah - ...

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